Frau Dattelpflaum reist

... und schreibt
2019 - Wales

Ab durch die Mitte

20. Juli 2019

Meine Angst, ich könne verschlafen und die Fähre verpassen, erweist sich als unnötig. Parallel zum Weckerklingeln werde ich mit einem kräftigen Knall geweckt. Es blitzt, donnert und schüttet wie aus Eimern. Heute gibt es den Wecker anscheinend mit Spezialeffekten. Hundemüde schleppe ich mich aus dem Bett und zum Hafen und bin froh, mitten im Gewitter, im Halbdunkeln und ohne Kaffee in diesem riesigen Hafen die richtige Ausfahrt und die richtige Warteschlange zu finden. Auf dem Schiff versuche ich, nochmal kurz die Augen zu schließen, aber die Aufgabe, mir den Wecker auf eine Zeit zu stellen, die irgendwann im Laufe der Überfahrt eine Stunde zurückgestellt wird, sprengt mein müdes Hirn. Im Grunde ist das aber auch ohnehin egal – als würde es mich drinnen halten, wenn es übers Wasser geht.

Als wir in Dover anlegen, regnet es leicht, doch mein Herz hüpft beim Anblick der weißen Klippen. Und erfreulicherweise fühlt sich das Linksfahren mittlerweile wirklich recht entspannt an. Ich bin gar nicht mehr so aufgeregt dabei. So geht es nun einmal ab durch die Mitte quer durch England.

Im BBC Radio läuft eine Sendung mit dem Thema „Random things that make you cry“, in der Hörer gefragt werden, was sie zu Tränen rührt. Es melden sich ein Herr, der in Tränen der Rührung ausbricht, wenn er seinen alten Schulbus sieht, der nun ein Oldtimer-Bus ist, sowie eine Frau, die fast die Hochzeit ihrer Schwester ruiniert hat, weil sie so unkontrolliert schluchzen musste. Eine Dame kann nicht mehr an sich halten, wenn sie Kirchenorgeln hört, eine andere Dame, wenn sie Polizeipferde in London sieht „… these enormous animals that do their duty!“. Und dann ist da noch eine Zuhörerin, die in Tränen ausbricht, wenn sie sieht, wie eine einzelne baked bean in der Dose zurückbleibt. Äh… wie bitte? „These beans have been harvested together, washed together and processed together… and then there’s this ONE tiny bean that’s been left behind and forgotten…that really makes me cry!“ Wieso klingen die hier alle schon wieder so spleenig? Lachend fahre in feinem Nieselregen um London herum und freue mich riesig, wieder hier zu sein.

Ungefähr auf halber Strecke habe ich einen kurzen Zwischenstopp in einem kleinen Ort eingeplant, in dem es eine Lavendelfarm gibt. An der Abfahrt sehe ich jedoch ein Schild, das zum „Jane Austen House“ weist. Ich halte an und stelle fest, dass ich ganz in der Nähe von Chawton bin, wo Jane Austen die letzten acht Jahre ihres Lebens verbracht hat. Das Haus, in dem sie Sinn und Sinnlichkeit und Stolz und Vorurteil überarbeitet und Mansfield Park geschrieben hat, ist heute ein Museum. Also mache ich spontan einen kleinen Schlenker, um mir das anzusehen. Der Ort mit seinen historischen Häusern ist wirklich zauberhaft, und auch das Museum hat mir gut gefallen. Eine Dame bespielt das alte Piano der Austens, und man kann sich lebhaft vorstellen, wie Jane Austen hier jeden Tag in der Küche an ihrem kleinen Walnuss-Schreibtisch saß und geschrieben hat – übrigens noch so etwas, was hier angeblich bei so manchem Jane-Austen-Fan zu Tränen der Rührung führt.

Danach fahre ich wie geplant zu den Lavendelfeldern. Mittlerweile ist die Sonne durchgebrochen, und als ich das Auto verlasse, steigt mir sofort dieser typische, intensive Lavendelduft in die Nase. Die Felder sind zwar insgesamt kleiner als ich dachte, aber es ist dennoch sehr schön – zumal hier auch noch Ringelblumen und alle möglichen anderen Blumen angebaut werden. Was für eine Farbpracht!

Da heute noch ein ziemliches Wegstück vor mir liegt, halte ich mich hier aber nur kurz auf. Weiter geht’s. Die Strecke zieht und zieht sich, und so langsam möchte ich auch mal ankommen. Eigentlich wollte ich direkt ins Hotel. Aber als ich Barry am frühen Abend erreiche, ist allerschönstes Wetter und ich weiß genau, dass ich nicht nochmal rausgehe, wenn ich erst einmal auf dem Hotelbett liege. Also fahre ich doch direkt durch nach Barry Island, einem Strand mit angegliederter Kirmes. Die Kirmes lasse ich links liegen, aber als ich aus  dem Auto aussteige und den Strand sehe, kann ich nicht mehr aufhören zu grinsen. WOW! Es ist so schön hier und ich bin ENDLICH angekommen! Die Wellen tosen, in der Ferne die Berge, sanfte Abendsonne…. prynhawn da Cymru!

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