Frau Dattelpflaum reist

... und schreibt
2015 - Normandie und Kanalinseln

Omaha Beach

30. Juli 2015

Ich weiß gar nicht, ob ich die richtigen Worte für diesen bewegenden Tag finde, der ganz im Zeichen des D-Day gestanden hat. Heute Morgen habe ich mich nach einem gemeinsamen Abschiedsfrühstück mit Aimée zunächst in aller Frühe auf den Weg zum Cap de la Hague gemacht. Dort steht an der zerklüfteten Küste in einiger Entfernung ein Leuchtturm im Meer. Ein malerischer Anblick und ein schöner Start in den Tag.

Danach führte mich mein Weg direkt nach Vierville-sur-Mer, dem Küstenabschnitt, der seit dem zweiten Weltkrieg als Omaha Beach bekannt ist. Heute sieht hier alles so traumhaft schön und friedlich aus. Aber was hat hier im Juni 1944 bei der Landung der Alliierten in der Normandie für ein unbeschreiblicher Horror stattgefunden, was für ein Gemetzel. Das kann – und möchte – man sich eigentlich gar nicht vorstellen.

Ein kleines Stückchen weiter, am amerikanischen Soldatenfriedhof in Colleville-sur-Mer wird einem anhand all der weißen Kreuze vor Augen geführt, wie viele Schicksale und Familien dahinterstecken mögen. Dabei ist auch das ja nur ein winzig kleiner Ausschnitt.

Das war schon sehr bewegend. Danach habe ich auf Empfehlung einer Kollegin auch noch das Memorial in Caen besucht – eines der meistbesuchtesten Museen Frankreichs. Sehr, sehr sehenswert und interessant.

Aber irgendwann hat mich das alles so überwältigt, dass Tränen geflossen sind. Man steht da und liest über das Grauen. Schaut sich originales Filmmaterial an, das kommentarlos aneinander geschnitten wurde. Man sieht, wie die Orte in Grund und Boden gebombt werden. Wie junge Männer zu zig Tausenden als Kanonenfutter verheizt werden, sich an Land kämpfen und in das Feuer der Deutschen rennen, die sich in den Dünen verschanzt haben. Dazu werden die Geräusche von einschlagenden Bomben eingespielt. Es sind nur kurze Filmausschnitte zwischen all den Infotafeln, aber man sieht in ihnen so unermesslich viel Leid. Und die Zerstörung der Orte, die ich gerade erst besucht habe, und an denen insbesondere die älteren Menschen, die das immerhin persönlich miterlebt haben, mir gegenüber so wahnsinnig herzlich waren. Die Eltern meiner Kollegin. Mein Gastgeber George, dessen Erzählungen über die deutsche Besatzung der Kanalinseln noch in meinen Ohren klingen.

Der ganze Horror hat genau hier stattgefunden. Und plötzlich ist das nicht einfach nur die x-te Weltkriegsdokumentation, sondern es ist viel näher dran. Dann ist es egal, wie sehr man versucht, die Geschichte aus der heutigen Distanz heraus zu betrachten – es fühlt sich eigenartig an, hier als Deutsche zu stehen. Zumindest mir ergeht es so.

Doch auch das gehört zu diesem Urlaub dazu. Der heutige Tag war nicht nur bewegend, sondern auch lehrreich. Ich kann diesen amerikanischen Patriotismus oft nicht nachvollziehen und bin schnell genervt davon. Und natürlich kennt man grausame Bilder aus Weltkriegsdokumentationen und man fand sie immer schon grausam.
Aber mir ist bewusst geworden, wie viel präsenter das Thema hier ist. Für uns sind das Dokumentationen, zu denen wir keine persönliche Verbindung haben. Hier ist jedoch der Ort des Geschehens, an dem die Geschichte lebendiger Alltag ist. An jeder Ecke. Überall in der Normandie stehen große Gedenktafeln, die an grausame Schlachten erinnern. An den Autobahnen. An den Ortseingängen. Schlacht an der Somme. Omaha Beach. Juno Beach. Utah Beach. Überall Soldatenfriedhöfe. Skulpturen. Gehisste Fahnen der damaligen Alliierten. Jedes Dorf hat seine eigene Geschichte. Darauf wird man an jeder Ecke hingewiesen. Darüber hinaus finden jährlich Paraden und Gedenkveranstaltungen statt und jahrzehntelang kamen zahlreiche Veteranen zurück an die Orte, an denen sie gekämpft haben. Auch heute noch sind sehr viele jüngere Amerikaner und Briten hier, die bestimmte Gräber suchen und sich den Ort anschauen wollen, an dem ihre Vorfahren gefallen sind. Das muss einen prägen, wenn man hier lebt.

Und ja, wenn man einem so bewusst wird, wie hier allein an diesem Ort zig Tausende Männer ins offene Feuer gerannt sind, um ein Land zu befreien, das nicht einmal ihr eigenes ist, dann werde ich um einiges demütiger, wenn es um mein Unverständnis für diesen Patriotismus geht. Ein schwerer Tag, und die Bilder von diesen jungen Burschen, die hier am D-Day so niedergemäht wurden, werden mich wohl nicht so schnell loslassen. Aber ich bin froh, dass ich hier war, da ich für vieles ein anderes Verständnis gewonnen habe. Es ist einfach nochmal was anderes, ob man irgendwo die Theorie liest oder ob man am Ort des Geschehens ist. 

 

 

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