Sooooo! Nachdem ich mich gestern ja dummerweise versehen hatte, geht es nun also heute auf den Mount Snowdon. Zu meinem großen Glück ist das Wetter heute doch viel besser als gestern angekündigt. Ich habe freien Blick auf den Gipfel und zumindest bis zum Mittag soll das Wetter bei loser Bewölkung halbwegs stabil bleiben. Jippie!!

Also laufe ich auch heute wieder aufgeregt durch die Wohnung, mach mich fertig und fahre früh nach Llanberis. Der kleine Bahnhof für die Snowdonia Railway ist total hübsch hergerichtet und wie fast überall üppig mit Blumen bepflanzt. Am Lokschuppen wird schon Kohle geschaufelt und mit den verschiedenen Loks rangiert.
Ich warte darauf, dass das Ticket Office öffnet, damit ich mein vorgebuchtes Ticket abholen kann, als sich ein Typ meines Alters neben mich setzt und anfängt, ohne Punkt und Komma zu reden. Er ist ein großer Eisenbahnfan und ist noch viel aufgeregter als ich. Er rennt hektisch hin und her, überlegt, mit welcher Lok wir wohl heute fahren, und ich erfahre alles über steam trains. Zumindest theoretisch. Denn praktisch verstehe ich dank seines Hampshire-Dialekts und seines durch einen Überbiss verursachten Nuschelns kaum ein Wort von dem, was er mir da erzählt.
Als wir kurz darauf unsere Tickets in der Hand halten, stellen wir fest, dass wir auf der Fahrt zwei Plätze nebeneinander haben. Na, das kann ja was werden. Ich finde den Typen wirklich etwas eigenartig und anstrengend. Aber was soll’s, kann ja trotzdem ein netter Mensch sein.
Wir stellen uns an und warten darauf, dass es losgeht. In der Zeit erzählt er mir, dass er schon oft auf solchen Dampflocks ausgeholfen hat, und was für ein Knochenjob und was für eine Hitze es ist, die zu betreiben. Ich bin noch nie mit einer Dampflock gefahren und dachte, der Dampf, den man in den Filmen immer sieht, sei – nun ja – Dampf! Aber natürlich vermischt er sich auch mit dem Rauch der Kohle, was wirklich bestialisch stinkt. Hin und wieder dreht der Wind und hüllt uns in eine Wolke aus Dampf und Rauch ein – da bekommt man wirklich kaum noch Luft.
Endlich dürfen wir einsteigen, und alle nehmen ihre Plätze ein, bis der Schaffner ratlos mit einer Frau diskutiert und auf mich zukommt. Ich solle nochmal mein Ticket zeigen, denn sie habe dieselbe Sitznummer wie ich. Hektisch krame ich in meiner Tasche und zeige es ihm nochmal. Da steht ganz eindeutig meine Platznummer drauf. „Yes, but I’m afraid you had a ticket for yesterday. Today is the 30th. Your ticket was for the 29th.“ Mir wird abwechselnd heiß und kalt, und ich krame nervös meine Buchungsbestätigung hervor, auf der ich doch gestern extra nochmal nachgeschaut hatte, und auf der doch ganz eindeutig der 30. stand, weswegen ich mich doch gestern so geärgert habe, dass ich mich versehen habe. Das kann doch alles nicht sein!
Und plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Ja, auf der Buchungsbestätigung steht der 30. Der 30. JUNI. Der Tag, an dem ich Zuhause das Ticket gebucht habe. Das eigentliche Ticket ist für den 29. JULI. Also für gestern. Somit sitze ich tatsächlich auf dem Platz der Dame und muss wohl oder übel wieder aussteigen. Nicht nur, dass mir das Ganze hochpeinlich ist, ich bin auch den Tränen nahe. Genau auf diesen Ausflug hatte ich mich so dermaßen gefreut. Seit Monaten. Und jetzt hab ich das komplett verschusselt. Wie bescheuert kann ein Mensch alleine eigentlich sein?? Und ich dachte gestern noch: „Komisch, ist noch gar nichts richtig schief gegangen in diesem Urlaub. Irgendwas ist doch eigentlich immer.“
Der Schaffner rät mir mitfühlend, ich solle nochmal ins Ticket Office gehen und dort mein Glück versuchen. Zerknirscht folge ich seinem Rat und trage mit rotem Kopf mein Missgeschick vor. An der Information steht in großen, roten Buchstaben „Today all of our trains are fully booked.“ Der Herr am Schalter schaut in seinen Computer und meint dann: „All I can do for you is book you on the next train. There’s one ticket left. But I’m afraid you have to pay again“. Ich trau meinen Ohren kaum. Anscheinend war jemand abgesprungen.
Hab ich ein Glück!! Ist natürlich blöd, dass ich das teure Ticket nun zweimal kaufen muss, aber so viel Dusseligkeit hat es vielleicht auch nicht anders verdient. Wenigstens komm ich da doch noch hoch heute. Ich zahle also für das neue Ticket, kaufe mir noch einen Cappuccino und setze mich damit in die Sonne. Einmal tief durchatmen und wieder runterkommen von der Aufregung. Kaum will ich den ersten Schluck trinken, sehe ich, wie eine Wespe zielstrebig in den Capuccino fliegt und darin umgehend absäuft. Ich habe nichts, womit ich die herausfischen kann, und muss den Cappuccino somit wegkippen. Läuft ja heute. Für mich immerhin nicht ganz so doof wie für die arme Wespe.
Ein Gutes hat das Ganze ja – immerhin wird mir auf der Fahrt nun nicht zwei Stunden lang das Ohr vollgesabbelt mit Dingen, die ich kaum verstehe.
Die Wartezeit vergeht wie im Fluge, und als die Fahrt nun endlich losgeht – diesmal aber wirklich, auch mit mir an Bord – kommen wir zunächst an alten, knorrigen Bäumen vorbei, die aussehen, als wären sie von Arthur Rackham gezeichnet. Schnell geht es steil bergauf. Die Lok ächzt und schnauft, und alle schauen beeindruckt aus dem Fenster. Wir fahren durch karge Hügel, durch die Wolken und hier und da an vereinzelten, verfallenen Häusern vorbei. Bei einem Zwischenstopp auf halber Strecke erklärt uns der Schaffner, dass das Tal vor dem zweiten Weltkrieg von etwa 100 Menschen in ca. 25 Häusern bewohnt war. Während des Krieges wurden die aber nach Llanberis umgesiedelt, weil das Gebiet für militärische Zwecke gesperrt war. Ich glaube sogar, durch die Deutschen, das habe ich aber nicht ganz verstanden. Nach dem Krieg waren die Menschen so an Elektrizität und fließendes Wasser gewöhnt, dass keiner mehr zurückkehren wollte.
Je höher es geht, desto steiler wird es, und es erscheint mir völlig verrückt, dass hier eine Eisenbahn fährt. Unterwegs passieren wir immer wieder Wanderer, die uns fröhlich zuwinken und fotografieren. Wir winken zurück und ich fühl mich ein bisschen wie die Queen. Oder wie Hape Kerkeling, je nachdem. Der Ausblick wird immer spektakulärer und ich bin wirklich völlig überwältigt von diesem Anblick. Für mich als Ostfriesin geht ja alles als Berg durch, was höher als ein Deich ist, aber das hier ist schon etwas Besonderes. So hoch war ich noch nie.
Oben ist ein großes Café und wir haben eine halbe Stunde Zeit, ehe der Zug zurückfährt. Wir werden eindrücklich gewarnt, den Zug nicht zu verpassen, weil der Fußweg sehr, sehr lang ist, und die Züge eben ausverkauft sind. Nochmal lasse ich es heute ganz bestimmt nicht auf mein Glück ankommen.
Draußen führen etwa 60 Stufen noch ein bisschen weiter nach oben, bis man den Gipfel endgültig erreicht. Nach der Hälfte merke ich, wie meine Beine wieder „wobbly“ werden. (Ich mag den Ausdruck „wobbly legs“ ;)). Es ist so hoch, und alle drängeln sich da oben auf diesem winzigen, unbefestigten Gipfelpunkt, der ohnehin in eine Wolke gehüllt ist. Nee, ich muss das nicht machen. Es ist doch völlig egal, ob ich nun noch 20 m höher stehe oder nicht. Also drehe ich lieber wieder um. Auch vom Café aus ist der Ausblick phänomenal und ich wundere mich, dass es sogar in 1085 m Höhe noch Möwen und Schafe gibt.
Schade, dass die halbe Stunde so schnell vorbei ist und man nicht mehr Zeit hat. Aber auch die einstündige Rückfahrt ist wirklich nochmal toll und ich freu mich riesig, dass ich das alles heute doch noch erleben darf. Als wir fast wieder unten im Tal sind, fängt es an, wie aus Eimern zu schütten. Wahnsinn. Was für ein Timing!
Zuhause angekommen schaue ich aus dem Fenster und von den Bergen ist absolut nichts mehr zu sehen, weil es so regnet. Puh.
