Frau Dattelpflaum reist

... und schreibt
2019 - Wales

Marloes Sands & Martin’s Haven

26. Juli 2019

An meinem letzten Morgen in dieser Gegend überlege ich, ob ich es auf einen letzten Versuch ankommen lasse, mir den Küstenabschnitt mit der Green Bridge of Wales anzuschauen, Dann finde ich die Seite, auf der die Zeiten für die Militärübungen angegeben werden, und lese, dass die Strecke auch heute gesperrt ist. Ich durchstöbere den Reiseführer nach Alternativen, finde einen interessanten Bericht über die St. Govan’s Chapel aus dem 12. Jahrhundert, die direkt in die Klippen gebaut wurde – und auch die liegt in abgesperrtem Militärgebiet. Ach, wisst ihr was? Dann halt nicht! Dann wird es jetzt wohl Zeit, weiterzuziehen.

Ich lese von einem tollen Strand- und Küstenabschnitt weiter nördlich, der allerdings nicht so leicht zugänglich sein soll. Ich zweifle, ob ich mir das zutraue, aber jemand gibt mir den Rat „Du kannst ja immer noch umdrehen.“ Das stimmt natürlich. Also, los geht’s.

Nach etwa einer Stunde Fahrt durch viele kleine Dörfer erreiche ich einen großen Parkplatz im Nirgendwo. Und egal, wie abgelegen ein Parkplatz hier ist – es gibt immer einen Kiosk oder einen Wagen, an dem Eis verkauft wird. 🙂 Kaum bin ich ausgestiegen, kommt ein freundlicher Herr vom National Trust auf mich zu. Er fragt, ob alles in Ordnung sei, und ob ich vielleicht ein paar Informationen zur Gegend möchte. Na klar! Daraufhin bekomme von ihm eine kleine Wanderkarte in die Hand gedrückt, den Hinweis, wo das nächste Café und somit die nächste Toilette ist, und erhalte Tipps wo welche Routen zum Strand führen. „If you go down this way, the cliff path is steeper, but it has great views. If you go that way, it’s a bit easier to walk.“ Wow, was für ein Service!

Mutig entscheide ich mich für den steileren Weg mit der besseren Aussicht, denn ich kann ja schließlich immer noch umkehren. Das erste Stück führt an dem beschriebenen Café vorbei und verläuft bequem über zwei große Felder. Alles ist voller Korn und Wildblumen – Heidekraut, gelber Stechginster, Schafgarbe, Kamille, Disteln und alle möglichen anderen Blumen, deren Namen ich nicht kenne. Die Sonne scheint, es sind nach wie vor angenehme 25 °C und Wales zeigt sich auch heute wieder von seiner besten Seite. Und was den tollen Ausblick betrifft – da hat der Herr nicht zu viel versprochen. Schon nach kurzem treffe ich auf den Küstenpfad, der den Blick auf einen längeren Abschnitt dieser wilden Steilküste freigibt.

Von diesem Anblick werde ich wohl niemals müde werden: hohe Klippen und das Meer, das ohrenbetäubend laut in Wellen heranrollt und an den Felsen bricht. Dazu das blaue Wasser und schroffe Felsformationen in allerlei Schattierungen. Weite. Höhe. Wind. Ich liebe es.

Das erste Stückchen des Küstenweges läuft sich ganz gut, aber dann geht es tatsächlich steil bergab und ich bekomme weiche Knie. Der Pfad ist superschmal, und man kann die Füße nicht richtig nebeneinander stellen. Es ist steil, holprig und direkt neben mir geht es steil bergab. Ich überlege hin und her und beschließe tatsächlich umzudrehen. Ich habe einfach zu viel Angst auf solchen Strecken. Es ist mir ein völliges Rätsel, dass hier Familien mit kleinen Kindern laufen. Einer sogar mit seinem Kind auf den Schultern. Mir bleibt schon bei dem Anblick halb das Herz stehen. Der braucht bloß einmal zu stolpern…

Egal, ich kehre um zu dem Punkt, an dem der Weg anfängt. Dort ist eine schöne Sitzecke mit einer kleinen Mauer, auf der ich ein kleines Picknick mache. Ein bisschen ärgere ich mich über mich selbst, dass ich in so vielen Situationen ein solcher Schisser bin. Schon in Freshwater East bin ich nur bis zum Bauch ins Wasser gegangen, weil mir die Wellen einfach zu stark waren. Wie viel mir wohl immer entgeht, weil ich dieses oder jenes dann doch nicht mache oder eben vorzeitig umkehre? Hier laufen sogar Kinder rum, aber Hauptsache, ich hab schon wieder zu viel Schiss.

Aber dann verwerfe ich meine Gedanken, denn die sind Quatsch. Es ist richtig, auf das zu hören, was man sich zutraut. Wenn ich in meinen Abenteuerurlauben  allein unterwegs bin, überwinde ich mich schon an genug Punkten und erlebe auch so viele tolle Sachen. Es muss nicht immer alles höher, schneller, weiter, mehr sein. Vor allem ist nicht das, was andere machen, der Maßstab, sondern das, womit ich mich wohlfühle. Entscheidend ist, überhaupt erstmal loszugehen, und sich nicht vorher schon von allen möglichen Bedenken davon abhalten zu lassen.

Ich bleibe noch eine ganze Weile dort sitzen, genieße den atemberaubenden Anblick, lasse mich von dem Wind zerzausen und freu mich über die anderen Wanderer, die alle freundlich grüßen. Eine Familie kommt um die Ecke und ein Kind fragt: „Mommy, why do we have to go the steep way?“ „Because of the views!“

Auf dem Rückweg kehre ich in das Café ein, bestelle zunächst nur etwas zu trinken, und beschließe dann, hier auch gleich zu Mittag zu essen. Ich bestelle eine wahnsinnig leckere Linsen-Ziegenkäse-Moussaka mit einem ebenso köstlichen Salat. Mit so leckerem Essen hätte ich hier an diesem Wanderweg im Nirgendwo nun wirklich nicht gerechnet. Der Wirt und die Kellnerinnen sind überaus herzlich, und von meinem Sitzplatz aus habe ich Ausblick auf die Küste. „You must have a workplace with one oft he best views in the country.“ „Oh yes, and every now and then I look out of the window to check if it’s still there!“

Auf der Wanderkarte ist auch im Nachbarort noch ein Aussichtspunkt eingezeichnet. Da noch genug Zeit ist, halte ich auch dort noch kurz an. Auch hier steht ein kleiner Kiosk, und auf dem Parkplatz kommt sofort jemand auf mich zu, der fragt, ob alles in Ordnung ist, und ob ich noch Informationen zur Gegend benötige. Das ist schon nett organisiert hier.

Ich laufe noch ein Stück querfeldein  durch die Headlands van Martin’s Haven an die Küste, ehe ich mich mit einem Kopf voller neuer Eindrücke am späten Nachmittag auf den Weg zu meiner nächsten Unterkunft nach Cardigan begebe.

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