Ein letzter Tag bleibt mir noch auf der Insel, und an dem möchte ich unbedingt noch einmal zum Jerbourg Point an die Steilküste fahren. Dort, am südwestlichsten Punkt Guernseys, gibt es einen tollen Aussichtspunkt, und hier beginnt auch der südliche Cliff Path, den ich ein kleines Stückchen gehen möchte.
Auf Anraten habe ich dieses Mal Wanderstöcke dabei. Auf der einen Seite komme ich mir damit echt merkwürdig vor, aber der Weg hat es in sich, und nach dem Sturz beim letzten Guernsey-Urlaub bin ich doch mit einiger Angst unterwegs. Und ich muss sagen – mit den Stöcken fühle ich mich tatsächlich etwas sicherer. Der Weg bietet fantastische Ausblicke, aber er ist steil, schmal und im wahrsten Sinne des Wortes überaus steinig. Es ist abgelegen und Handyempfang hat man im Notfall auch nicht. Somit verlassen mich recht schnell nicht nur Kondition, sondern auch der Mut, allzu weit zu gehen. Also höre ich auf meine innere Stimme und beschließe, diese Wege den sportlicheren Menschen zu überlassen und wieder umzukehren. Man muss das Schicksal ja nicht unbedingt herausfordern. Trotzdem – das kurze Stück war wirklich schön.
Ich kehre zurück zum Aussichtspunkt, wo sich auch ein kleiner Kiosk und zahlreiche Bänke befinden. Bei einer kleinen Erfrischung habe ich einen tollen Blick auf Herm und Sark. Schon vor drei Jahren war ich hier – damals voller Neugier auf das, was mich auf Sark erwarten würde. Heute mit ein bisschen Wehmut, jetzt, da ich weiß, wie schön es dort ist.
Danach nehme ich den nächsten Bus zurück in die Stadt und fahre zur Little Chapel. Die winzige Kapelle ist einer Pilgerstätte in Lourdes nachempfunden und ist komplett aus bunten Keramikscherben und Muscheln erbaut. Schon verrückt, was sich kreative Menschen alles einfallen lassen. War nicht spektakulär, aber ganz nett anzusehen.
Auf dem Rückweg sammelt mich derselbe Busfahrer ein, der mich auf dem Hinweg dort rausgelassen hat. In Ermangelung von Schildern bin ich einfach dazu übergegangen, jeden Busfahrer darum zu bitten, mir bescheid zu sagen, wenn wir die gewünschte Haltestelle erreichen. So kommt man dann auch mit jedem ins Gespräch. Ich steige also wieder ein und werde direkt gefragt: „And? Did you like it?“ Er weist auf meine Kamera: „Got a few good shots?“ Yes, thanks! 🙂
Per SMS wird schnell die Abendplanung geklärt.
„Same place, same time?“
„For sure! X“
Aber vorher muss ich unbedingt noch einmal in die Cornish Bakery, bevor es morgen wieder aufs Festland geht. (Hallo, mein Name ist Nadja, und ich habe ein Cornish-Pasty-Problem… 😉 ) Es gibt eine Cheese-and-Onion-Pasty zum Abendbrot und eine Sweet-Potato-Feta-Pasty zum Mitnehmen. YUMMY! Anschließend bummle ich durch die Stadt zurück zur Bar, wo ich mich nachher ein letztes Mal mit Iain treffen werde.
Die Lloyds Bank in St. Peter Port erinnert mich ja irgendwie immer an die Gringotts Bank aus Harry Potter.
Kurze Zeit später sitzen wir bei einem letzten Glas Roquettes Cider draußen vor der Bar. Eine sympathische Bekannte von Iain gesellt sich hinzu, und wir lachen Tränen. Von der gegenüberliegenden Straßenseite winkt mir lächelnd der Busfahrer von gestern zu, und mir wird ein wenig schwer ums Herz. Ich will hier noch nicht weg. Für nächstes Jahr habe ich bereits andere Pläne, und es fühlt sich verdammt blöd an, sich von Menschen zu verabschieden, ohne zu wissen, in wie vielen Jahren man sich wohl wiedersehen wird.