Der heutige Tag war in jeder Hinsicht eine Herausforderung. Ich hatte in der Vergangenheit schon öfter etwas über den Mont Saint Michel gehört, einer Felseninsel rund 3 km weit im Wattenmeer der Normandie, auf der sich eine mächtige Abtei erhebt, die zum Weltkulturerbe der UNESCO zählt. Da es von Aimée aus nur ca. 1.5 Stunden entfernt ist, wollte ich den Mont Saint Michel unbedingt besuchen.
Schon gestern musste ich auf der Fahrt nach Les Moitiers-d’Allonne einen riesigen Umweg in Kauf nehmen, da alle wichtigen Straßen rund um Caen aufgrund irgendwelcher Bauernproteste blockiert waren. Und nun kam die Ankündigung, dass man weitere zentrale Punkte bestreiken würde. In der Hoffnung, dass es nicht ausgerechnet die Gegend am Mont Saint Michel treffen würde, habe ich mich gleich ganz früh morgens auf den Weg gemacht. Dass es in Strömen geregnet hat, hat meine Laune nicht unbedingt gesteigert. Zwar hatte ich unterwegs das Radio an und habe versucht, die Nachrichten über die Proteste zu verfolgen, aber da meine Französischkenntnisse nicht gerade sehr gut sind, habe ich nur wenig verstanden. Also weiter drauf los.
Einige Kilometer vor dem Ziel kam es dann, wie es kommen musste. Alle Zufahrtsstraßen zum Mont Saint Michel waren mit Barrikaden blockiert – ein Durchkommen war unmöglich. Der Mont Saint Michel ist eine DER Touristenattraktionen Frankreichs und man wollte wohl ein möglichst effektives Druckmittel haben. Ich war so dermaßen frustriert, weil ich mich so auf dieses Ziel gefreut hatte, dass mir direkt die Wuttränen kamen. Da fährt man so weit, freut sich so sehr, und dann das. Und da es morgen bereits nach Guernsey geht, war heute die einzige Chance, den Berg zu besichtigen.
Nachdem ich eine Weile ratlos im Auto saß, fiel mein Blick auf mein Navi, auf dem mir die ganz feinen Linien auffielen. Sämtliche Straßen sind blockiert, ja. Aber die können doch unmöglich alle Feldwege…. ? Einen Versuch ist es zumindest wert!
Also fiel der Entschluss, es auf den kleinen Schleichwegen zu versuchen und zu schauen, wie weit ich komme. Vielleicht könnte ich ja wenigstens von weitem einen Blick auf mein Ziel werfen.
Zu meiner Freude habe ich es über die kleinsten Feldwege dann tatsächlich bis zu einer kleinen Siedlung geschafft, von wo es nur noch ca. 3 km bis zum Fuße des Damms sein sollten, der zu der Abtei führt. Ab da ging es dann nicht mehr weiter. Die einzige weiterführende Straße war mit Misthaufen und alten Reifen verbarrikadiert, und Feldwege, die einen noch weiter herangeführt hätten, gab es nicht. Die Hoffnung auf einen schönen Blick auf die Abtei wurde durch das diesige Wetter zunichte gemacht.
Aber ich hatte es weit geschafft und nun war auch mein Trotz geweckt. Baut doch eure bescheuerten Barrikaden! Ich bin so weit gefahren, um den Berg zu besuchen und werde mich jetzt nicht davon abhalten lassen! Weder von den Bauern, noch von diesem Pissregen!
Also habe ich mein Auto bei einem Hotel geparkt und habe mich für das restliche Stück zu Fuß auf den Weg gemacht. Der Misthaufen war ganz schön ekelig, aber zum Glück konnte man einigermaßen gut seitlich daran vorbei laufen. Nach einem ziemlichen Marsch durch den Regen bin ich am Campingplatz vor der Bucht angekommen.
Hier und da waren ein paar weitere Wanderer unterwegs, die sich ebenfalls nicht von den Blockaden haben abhalten lassen, und auch auf dem Campingplatz und den anliegenden Hotels waren einige Gäste. Für die ist der Shuttleservice die letzten 1000 m dann netterweise doch noch zur Abtei gefahren. Ich hab mich so gefreut! Und kurz nachdem ich den Berg betrat, wurde auch das Wetter langsam besser.
Aber das meiste stand mir noch bevor. Die Abtei befindet sich ganz oben auf dem Berg. Drum herum liegt spiralförmig das ehemalige Dorf mit engen, mittelalterlichen Gassen, Restaurants, Souvenirläden, Hotels und der Post. Es geht aufwärts. Viele, viele, ENDLOS viele Stufen lang. Bis zur Spitze sollen es angeblich um die 900 Stufen sein. Kein Wunder, dass an jeder Ecke nach Luft japsende Touristen stehen – das schafft man nur in Etappen.
Das flößt einem aber umso mehr Respekt für dieses imposante Bauwerk ein. Es ist kaum vorstellbar, wie massiv diese Mauern sind, und wie vor Jahrhunderten alles mit den damaligen Mitteln erst einmal durchs Watt und anschließend den Berg hinauf geschafft werden musste.
Dieser Berg, der sich auf dem flachen Land aus dem Nichts erhebt, mit diesem hübschen Dorf und der imposanten Abtei und ihrer Geschichte ist wirklich etwas Besonderes. Und wenn man all die Stufen geschafft hat, bietet sich einem eine tolle Aussicht über die gesamte Bucht.
So sehr ich mich zu Beginn des Tages auch über die Proteste und die Umstände geärgert habe, so froh bin ich darüber rückblickend. Der Mont Saint Michel wird jährlich von mehreren Millionen Menschen besucht. Im Sommer soll in den engen Gassen ein einziges Geschiebe und Gedränge herrschen. Durch die Blockaden haben sich heute jedoch nur wenige Menschen bis zum Berg durchgekämpft, sodass man ganz gemütlich durch die Gassen schlendern konnte. Und sogar das Wetter hat zum Schluss noch richtig toll mitgespielt. Im Grunde genommen war das also für mich heute ein einziger Glücksfall und ich bin froh, dass mich mein Trotz vorangetrieben hat!
Nur meine Füße, die bringen mich gleich um. Nach dem Marsch zum Berg, den 900 Stufen und dem anschließenden Marsch zurück zum Auto falle ich nun gleich halb tot (aber zufrieden) ins Bett. 🙂